Affe
Geschichten vom Essen, Trinken und anderen schönen Dingen
     

 

Affe

Um es vorweg zu sagen, Rebecca Ebenholz arbeitete im Dienstleistungsgewerbe. Das heißt, sie half Männern, sich die Wäsche sauber zu halten, wie sie das nannte. Und es machte ihr Spaß, meistens jedenfalls. Es war auf alle Fälle besser, als von morgens Neun bis abends Acht in Schamlösers Klamottenladen herumzustehen und Frauen zuzuschauen, wie sie mit spitzen Fingern die Kleiderständer durchforsten, ohne ein Wort, ohne eine Miene, um dann schräg über den Boulevard zur Parfümerie Ellison zu staksten und nach zehn Minuten mit einem Schächtelchen am Finger wieder heraus zu kommen, dessen Inhalt mindestens doppelt so viel gekostet haben dürfte, wie eine der wirklich schicken Blusen, die sie nicht einmal für wert gefunden hatten, vom Ständer genommen und vor dem Spiegel unter den Hals gehalten zu werden. Und sich dabei nicht setzen dürfen, niemals, den ganzen Tag lang nicht, nicht für eine Minute. Denn das sah Schamlöser gar nicht gern, obwohl er selbst den ganzen Tag in seinem Büro saß und durch die Spiegelfront über den Umkleidekabinen alles beobachtete, was im Laden vor sich ging. Nicht einmal in der Nase bohren konnte man sich da, geschweige die Körbchen zurechtrücken, wenn sie drückten. Schamlöser bestand darauf, dass man Körbchen trug, weil er meinte, dass die Verkäuferinnen in einem Modegeschäft so aussehen sollten, wie die Damen sich vorstellten selber auszusehen, auf deren Interesse für sein Angebot er hoffte. Bei denen aber waren Körbchen das Mindeste, was sie sich antun mussten, wenn sie überhaupt ein bisschen nach etwas aussehen wollten. Weshalb sie ja auch nicht bei Schamlöser kauften sondern bei Peilmann oder bei Kurland, weil es hieß, dass zu denen selbst die Promis aus Hamburg einkaufen kamen. Sie war jedenfalls froh gewesen, als er dann endlich Pleite ging. Nur dass der Job im Modehaus Bleischrot nicht besser war, den sie nach einem halben Jahr Kasse bekommen hatte. Die Mauer war eben gefallen und die Leute aus dem Osten plünderten ihre Sparstrümpfe. Umtausch eins zu zehn. Und darauf hatten die doch seit vierzig Jahren gehofft, dass sie endlich was zu kaufen bekamen für ihr Geld. Da wurden die Lager geräumt und der letzte Ladenhüter kam auf die Stange. Und was vorher drei Mark, neunundneunzig gekostet hatte, kostete mit einemmal neun Mark, neunundneunzig. Und das war für die immer noch weniger als zehn Mark. Das hatte ihr dann auch nicht recht gepasst, zumal Bleischrot erklärte: „Ein Vierteljahr, dann kommen die hierher und arbeiten für die Hälfte von dem, was ich euch zahle“, als ihm zugetragen worden war, dass sie meinte, bei dem Umsatz, den sie für ihn machten, könne er doch wohl mal darüber nachdenken, ob es nicht gerecht wäre, seinen Verkäuferinnen wenigstens zehn oder zwanzig Pfennige mehr die Stunde zu zahlen. Denn das müsse doch auch er sehen, dass das Verkaufen unter diesen Bedingungen eine Knochenarbeit sei.
Da war ihr dann das mit der Dienstleistung eingefallen.
Ja, sie hatte daran schon immer ihren Spaß gehabt, schon als die Spitzlinge aus der Thomas-Mann-Schule, von denen sie sich zu einem Spaziergang in die Palinger Heide überreden ließ, auf ihr herumhechelten, und später erst recht, als sie sich ihren Passat gekauft hatte und zum Sonnenbaden lieber nach Neustadt fuhr, statt zum Timmendorfer Strand, wo man sich kaum umdrehen konnte, ohne einem Anderen mit dem großen Zeh in die Nase zu geraten, und wo sich dann auch richtige Männer für sie zu interessieren begannen.

     
     
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