| Könnte
man Geschichten vom Essen, Trinken und anderen schönen Dingen |
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Könnte man Es war nichts, absolut gar nichts, was Arnfried Könntemann hätte
veranlassen können, sich für die Frau zu interessieren, hinter
die er beim Anstehen an einer der Kassen des Supermarkts geraten war,
der sich im Parterregeschoss des siebzehnstöckigen Hochhauses befand,
in dem er arbeitete. Wenn man davon absieht, dass er sich ärgerte,
nicht sofort die Kasse gewechselt zu haben, als sie den Inhalt ihres Einkaufswagens
auf das Band zu stapeln begann, Stück für Stück, wohl geordnet
nach Größe, Art, Gewicht und Bestimmung. Als erstes die Getränke,
Wein, Cola, stilles Wasser, Orangensaft und eine Flasche russischer Wodka.
Dann das Gemüse: Möhren, Sellerie, Kohlrabi, ein Kopf Blumenkohl
- wobei er: „Leipziger Allerlei oder Pichelsteiner“, dachte
- und schließlich die Molkereiwaren: Butter, Kochsahne, Frischkäse,
Joghurt, Quark. Folgte eine Packung Aufbackbrötchen, Knäckebrot
und Pumpernickel, Kaffee, Küchenkrepp und Slipeinlagen, und zum Schluss
dann sieben Dosen Katzenfutter. Und es war auch nur diese Akribie, die
ihn veranlasste, sie überhaupt als Frau wahrzunehmen. Denn einem
Mann, meinte er, würde es niemals einfallen, seine Einkäufe
beim Ablegen auf das Band noch extra zu ordnen. Weshalb er sich doppelt
ärgerte, weil er einen Mann ganz bestimmt gefragt hätte, ob
er ihm den Vortritt ließe. Er hatte nur einen Beutel Kartoffeln.
Und nur dieses Kartoffeln wegen hatte er eine halbe Stunde zuvor sein
Auto auf dem Weg zur Ausfahrt aus der unter diesem Supermarkt gelegenen
Tiefgarage noch einmal gestoppt und in eine eben frei werdende Box gefahren,
da er sich überlegt hatte, dass es besser sei, zum Abend süßsaure
Kartoffelstückchen zu kochen statt Linsen mit Rotwurst. Seine Beziehung
hatte sich zum Essen angemeldet und es war besser, wenn er auf deren Empfindlichkeiten
Rücksicht nahm. Sie mochte es nicht, wenn er sich betrug, als ob
sie miteinander verheiratet wären, obwohl sie inzwischen schon mehr
Nächte in seinem zwei mal zwei Meter messenden Bett zugebracht hatte,
als die Frau, mit der er einmal verheiratet gewesen war. Doch wenn sich
auch die Vereinbarung „bedarfsgemäß“, auf die sie
sich bei der Absprache über die Bedingungen ihres Verhältnisses
geeinigt hatten, hauptsächlich auf den gemeinsamen Aufenthalt in
diesem Bett bezog, so war sie offenbar der Meinung, ihm hin und wieder
bewusst machen zu müssen, dass er dies keinesfalls als zwangsläufige
Folge anzusehen habe, wenn sie anrief und erklärte, es lüstele
sie, sich wieder einmal von ihm bekochen zu lassen. Und dann reichte schon
irgendeine Nichtigkeit und sie ließ ihn mit den entsprechenden Erwartungen
allein, egal ob noch eine Bahn fuhr oder sie ein Taxi ordern musste. Gerade
an diesem Wochenende aber hatte er wenig Lust, die Nächte allein
in diesem auch zu zweit noch um etliches überdimensioniert erscheinenden
Bett zubringen zu müssen. Jährte sich doch mit dem Sonnabend
bereits zum vierten Mal der Tag, an dem seine Frau nach acht Wochen ungetrübtester
Glückseeligkeit, nachts an einer Straßenbahnhaltestelle beim
Warten auf die letzte Bahn plötzlich auf einen dort herumlungernden,
ihm ziemlich verwahrlost vorkommenden Mann zugegangen war, sich in dessen
sich auffordernd ausbreitende Arme geworfen und danach erklärte hatte,
sie wisse zwar, dass es für eine Frau kaum einen besseren Mann geben
könne als ihn, aber auf die Widerbegegnung mit diesem Anderen habe
sie insgeheim immer noch gehofft. Schon vier Wochen später war sie
dann in ein Flugzeug gestiegen und in ein Land auf der anderen Seite des
Erdballs entschwunden, während nun er mit einem heimlichen Hoffen
zu leben begann, dem Hoffen, sie könne eines Tages vor der Tür
stehen und erklären, es sei alles ein bedauerlicher Irrtum gewesen. |
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