Schöner Urlaub
Geschichten vom Essen, Trinken und anderen schönen Dingen
     

 

Schöner Urlaub

Eigentlich war es ein schöner Urlaub gewesen. Nein, dass hätte sie anders nicht sagen können. Es war eigentlich ein ganz schöner Urlaub gewesen, das Hotel, der Service, der Strand, das Schnorcheln über den Korallenfeldern, die Ausflüge mit dem Fahrrad über die Insel, die Leute, die Abende in der Bar, und dass sie wieder einmal bis zum Umfallen getanzt hatten, mit vollem Einsatz und in beinahe perfekter Harmonie.
Nein, bestens, wirklich alles bestens. Bis auf, dass ihr Mann sein Telefon nicht hatte abstellen wollen. – Nein, nein und nochmals nein, er müsse erreichbar sein, auch im Urlaub. Das stünde im Arbeitsvertrag. Da half auch nicht, dass sie ihn darauf hinwies, dass es ein Grundsatzurteil gebe, das solche Vertragsklauseln für nichtig erklärte.
„Und soll ich dann gegen meinen Betrieb klagen oder was? – Jetzt, wo ich endlich an einem wirklich interessanten Projekt beteiligt bin? – Du hast ja keine Ahnung, was da alles für Probleme auftreten können.“
„Und erwarten sie dann, dass du eine Sondermaschine charterst und nachhause kommst? – Du hast ihnen doch wohl gesagt, dass wir auf die Bahamas fliegen.“
Und morgens als Erstes, ob über Nacht eine SMS eingegangen ist. Und abends während sie unter der Dusche stand und alles gründlich wusch, was sie hoffte, dass er es küssen werde, wenn sie ins Bett kam, damit nichts nach Salz schmeckte oder Fisch oder Tang.
Und zweimal hatte ja auch tatsächlich jemand angerufen. Aber das war nichts von Bedeutung gewesen. „Nein, Kollege, da bist du bei mir falsch. Das ist nicht mein Bereich. Das bearbeitet der Kollege Dreyer auf der Einundzwanzig. Und außerdem bin ich zurzeit im Urlaub, auf den Bahamas. Das wird teuer, wenn wir jetzt noch weiter reden.“
Aber zehn Minuten später doch wieder ein Blick auf das Display, ob da eine SMS eingegangen sei? Als ob er in Wirklichkeit auf einen ganz anderen Anruf gewartet hätte oder der Anruf nur als Hinweis gedacht war, dass eine SMS folgen werde. Das alles aber war ausschließlich ihr Problem gewesen. Denn das hatte mit ihrem Mann nichts zu tun. Das hatte etwas mit ihrer Mutter zu tun. Die drehte selbst nach vierzig Jahren Ehe immer noch mindestens einmal in der Woche des Vaters Hosen- und Jackentaschen von innen nach außen, ob sich da vielleicht ein fremdes Haar finden ließe. Und das wurde auch sie nicht los, obwohl sie wusste, wie man sich damit das Leben zur Hölle machen konnte. Weshalb sie sich eigentlich auch vor allem über sich selbst geärgert hatte, als darüber, dass ihr Mann sein Telefon nicht hatte abstellen wollen. Zumal es ansonsten nichts gab, was dem ihr von ihrer Mutter übermittelten Misstrauen hätte Nahrung geben können. Er alberte mit ihr herum, wie er schon seit Jahren nicht mehr mit ihr herumgealbert hatte, nahm sich Zeit, wenn er merkte, dass sie irgendwie nicht bei der Sache war und manchmal zog er ihr sogar am Morgen vor dem Aufstehen noch einmal die Decke vom Körper, dass sie schon gedacht hatte, wo nimmt er bloß die Kraft her? Und eigentlich wäre es auch deshalb sinnvoll gewesen, zeitig genug vor dem Urlaub die Pille abzusetzen. Aber da hatte er protestiert: „Zum Urlaub in die Karibik und dann keinen Daiquiri trinken dürfen? Da kann ich auch gleich zuhause bleiben.“
Denn darüber waren sie sich einig, es durfte kein Alkohol im Spiel sein, und auch in ihrem Körper durfte nichts mehr von dem vorhanden sein, was sich nach vier Jahren Pille dort angesammelt haben konnte. Und außerdem waren die fünf Jahre ja noch nicht um, die sie zu warten vereinbart hatten, bis sie wussten, ihre Kinder würde nicht auf der Straße schlafen müssen und, ja auch, bis sie wussten, sie würden wirklich zusammenbleiben. Wofür sie fünf Jahre als Zeitraum mit ausreichender Beweiskraft ansahen.
Nein wirklich, es war eigentlich ein durch und durch schöner Urlaub gewesen. Und, dass dann auch noch ihre Kabinenplätze für den Rückflug zweimal vergeben worden waren und sie deshalb in der Business class untergebracht werden mussten, das war ja dann sogar auch noch ein Abschluss, wie man ihn sich besser nicht hätte erträumen können.
Wenn sie sich auch ärgerte, dass sie aus lauter Liebe: „Nein, nein, geh du mal ans Fenster“, gesagte hatte, als die Stewardess ihnen die Plätze zuwies und zur Eile drängte, weil die Maschine schon zur Startbahn rollte und sie noch die Gepäckablagefächer schließen musste. Denn ihr Mann hatte, kaum dass das Geschirr vom Abendmenü abgeräumt worden war, das Rollo des Kabinenfensters herab gezogen und sich die Schlafmaske aufgesetzt, so dass sie nicht einmal den in der Rückenlehne des Sitzes vor ihr eingebauten Bildschirm einschalten konnte, um, wie es im Prospekt der Fluggesellschaft hieß, „durch eine reichhaltige Auswahl an Spielfilmen, Konzertaufzeichnungen oder Videospielen die Entspannung über den Wolken ganz nach den eigenen Vorstellungen gestalten“ zu können. Er brauchte den Schlaf. Denn im Gegensatz zu ihr, hatte er schon vier Stunden nach der Landung zu einer Projektbesprechung zu erscheinen. Und es war nicht empfehlenswert, dass er dort mit verquollenen Augen auftauchte. Also ließ sie ihren Blick in der wirklich extrem komfortabel ausgestatteten Kabine umher schweifen und gab sich der Vorstellung hin, wie es sein würde, wenn man nicht nur durch einen Zufall in der Lage wäre, auf diese Weise reisen zu können. Wobei ihr Blick dann einem anderen Blick begegnete. Es war der Blick eines Mannes, der zusammen mit drei anderen Männern an einer Art Konferenztisch saß und telefonierte, wobei er sie allerdings eigentlich nicht wirklich ansah, sondern irgendwie wie ins Nichts hinein blickte. Wie man eben blickt, wenn man telefoniert. Nur dass er dabei eben in die Richtung schaute in der sie saß. Weshalb sie zunächst nicht einmal bemerkte, dass auch sie ihn anschaute. Das wurde ihr erst bewusst, als unvermittelt etwas wie ein Erwachen in seinen Augen aufblitzte. Das heißt, als er seine Augen plötzlich auf ihre Augen fokussierte, ja, dass er sogar das Telefonieren für einen Atemzug lang unterbrach, so, als müsse er sich vergewissern, dass er wirklich sehe, was er sah. Während sich zugleich für einen ebenso winzigen Augenblick das Erwachen zu einem fragenden Forschen wandelte, ehe er dann aber diesen Blick wieder in diese diffuse Unschärfe zurückzog und irgendetwas mit dem Ausdruck des Unwillens in das Telefon rief. Worauf die anderen drei Männer lachten.

     
     
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