Gefüllte Weinblätter
Geschichten vom Essen, Trinken und (den) anderen schönen Dingen
     


Als sie die Leiter an die Hauswand stellt, um an die frischen Triebe rankommen zu können, ruft Janeck durch die Sturmschadenlücke in der Lebensbaumhecke an der Grenze zum Nachbargrundstück: „Na, gibst wieder eine Grünfutterparty heute?“. - Janeck, der Polacke, Nachbar seit vierzig und heimliche Liebe seit sechzig Jahren.

Das ist nicht bös gemeint. Das gehört zu dem Spiel, das sie seit Kindertagen spielen. - Zwick ich dich, vergisst' mich nicht. - Sie nennt ihn Polacke und er fragt: „Na, gehst' wieder Watzmann die Rente sichern?“, wenn er ihr auf dem Weg nach Rambow zum Bäcker begegnet.

Das ist das einzige Laster, das sie sich leistet, Baiser mit Schlagsahne. Und die kriegt sie niemals so hin, wie Watzmann, der Bäcker sie hinkriegt. Entweder werden sie zu braun oder sie wollen einfach nicht so locker werden wie bei ihm. Die Sahne, ja, die macht sie schon selber. Und auf die spielt Janeck ja dann auch an oder auf das was die mit ihren Hüften anrichtet. Zweiundsiebzig Kilo bei einem Meter und dreiundsechzig, trotz fleischlos und keinem Tropfen Alkohol.

Und dass er über ihr Grünfutter genauso lästert, wie über Baiser mit Schlagsahne, zeigt ja, dass er sie einfach nur zwicken will. Obwohl er das gar nicht nötig hätte. Weiß er doch, dass sie ihn gar nicht vergessen könnte, selbst wenn er nicht ihr Nachbar wäre. Der erste Kuss und auch mal anfassen sogar, als die Neugier noch so übermächtig war, dass man hätte in Ohnmacht fallen können.

Aber ihre Eltern sagten: „Bring uns bloß nicht einen von den Polacken ins Haus! Die klauen doch alle.“

Janek gehörte zu den Krawzyk- Jungs. Sieben insgesamt. Und er der Jüngste.

Die waren aus den Masuren umgesiedelt worden und hatten die alte Holzmühle am Wendengraben zugewiesen bekommen. - „Macht was draus.“ - Und sie hatten was draus gemacht. Erst zwei Zimmer, dann fünf, dann sieben, dann zehn. Jahr für Jahr und meistens mit dem, was andere wegschmissen. - „Guckt euch das an! - So kann doch kein Mensch leben! - Sind eben Polen.“

Nach zehn Jahren aber hieß es dann: „Da kann doch was nicht richtig sein. Neues Dach und neue Fenster. Und ein Auto haben sie auch schon.“

Dass fünf von ihnen inzwischen schon arbeiteten, zählte nicht. Alles Maurer. Und als es eines Tages hieß, jetzt stocken sie auch noch auf, hatte man nicht viel Zeit zum lange darüber reden gehabt. Wer nicht sofort gucken gegangen war, wie das wohl zugehen mag, das Haus ohne Dach und zwei junge Frauen mit Babys, der kam gerade noch dazu, wie das Baugerüst wieder davongefahren wurde. - „Dass man so etwas zulässt! - Wie ein steiler weißer Zahn mitten zwischen den Bäumen. Das verschandelt doch den ganzen Blick auf den See.“

Auch Janeck war Maurer geworden. Und als er das Nachbargrundstück zum Bebauen bekommen hatte, waren keine zwei Wochen vergangen und der Blick zum Konsum an der Schulmeisterscheune war verbaut. „Das man so etwas zulässt“, hatte auch Hanning damals gewettert. Obwohl der Konsum eigentlich nur vom Klofenster aus zu sehen gewesen war.

Dann aber hatte es bei Janek gedauert. Kein Kalk, keine Heizkörper, kein Holz, keine Kupferkabel. Da hatte die Hecke aus Lebensbäumen, die Hanning sofort an der Grundstücksgrenze gepflanzt hatte, Zeit zum Wachsen gehabt. Als schließlich das Putzgerüst fiel, war sie schon zwei Meter hoch gewesen. Und Hanning hatte sich nicht mehr die Zähne in die Nase beißen müssen, wegen des zerbeulten Mischers und den bekleckerten Schaltafeln und von den Kindern breit getretenen Kieshaufen nebenan.

Das war dann auch das einzige Mal, dass sie sich wegen Janek in die Haare gekriegt haben, sie und Hanning. Waren es doch auch ihre Kinder gewesen, die die Kieshaufen breit traten. - „Dann musst du auch unsere Kinder Dreckschweine und Verbrecher nennen!“ Und er hatte :“Arschloch!“ gesagt.

Das hatte er aber bereut. - Kohlsuppe, gelbe Rüben, Möhreneintopf, Milchreis mit Rhabarber. Dass er nicht für Eisbein in den Krug nach Zachow fahren würde, wusste sie. Da war er zu sehr ans Rechnen gewöhnt. Auch sie selber waren ja am Bauen. Neues Bad und neue Küche und der ganze Hof mit Beton, dass man keinen Dreck ins Haus schleppen konnte, wenn man aus dem Auto stieg. Der Trabant wurde jedenfalls nur mit Waschbenzin aus der Instandhaltungswerkstatt seines Betriebes betankt. Und für den Lada fuhr er jede zweite Woche zum Tanken nach Swinemünde. Dann eine halbe Stunde über die Grenze und ab ging es wieder wieder nach Hause. Er hatte extra einen Zusatztank eingebaut, unter den Rücksitzen, wo bei anderen die Sprungfedern waren. Die Kinder störte das nicht. Die schliefen sowieso, kaum, dass sie vom Hof gerollt waren, wenn sie mal in Urlaub fuhren oder nach Berlin in den Tierpark.- Zwei Wochen, dann kam er angekrochen: „Ich möchte mich in aller Form bei dir entschuldigen.“ Tatsächlich: „In aller Form!“ Und sie sagte: „Gut, am Sonntag Rippenbraten mit Wirsingkohl.“

Dabei hätte eigentlich sie sich schuldig fühlen müssen. Denn wenn er gewusst hätte, warum sie nicht wollte, dass er Janek Dreckschwein und Verbrecher nannte, hätte er wahrscheinlich noch etwas ganz anderes als Arschloch zu ihr gesagt.



     
     
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