Die Frau mit dem Leberfleck
Geschichten vom Essen, Trinken und anderen schönen Dingen, 2006
     


Udo Deckmann war siebzehn, als ihn die dicke Margot vom Bäckerladen am Wassertor in die Lehre nahm. Die war neunundzwanzig und nahm kein Blatt vor den Mund. Im Laden nicht und auch nicht, wenn einer wie er oft genug kurz vor Ladenschluss durch die Tür gehuscht war und mit hochrotem Kopf gefragt hatte, ob noch etwas von der Eierschecke zu haben sei. - : „Was denn, was denn? Das soll’s wohl nun gewesen sein? – Hab ich's doch gewusst, ich bin deine Erste. – Lüge nicht! Ich kenn das. - Ihr denkt, eine Frau, das ist wie ein Pferd im Stall. Aufsteigen und losreiten. Aber eine Frau, ist eine Katze. Die will gestreichelt werden, ehe sie schnurren kann. - Also los! Die Finger lang! Und dann an der Stirn anfangen! – Ja, richtig, genau unterm Haaransatz. Näher zu den Augenbrauen jetzt. Die Schläfen! Langsam! Die Haut muss Zeit haben, sich einzustellen. – Jetzt hinter zum Nacken, die Oberarme, die Brust. Da kannst du ruhig etwas fester zufassen. Und denk an beide, dass keine eifersüchtig wird. Jetzt zum Bauch. Bis zum Nabel! Weiter nicht! Das kommt später. Und halt dich zurück! Das musst du lernen. Das ist das Wichtigste. Denk, es kommt einer mit zwei Ziegelsteinen. - Jetzt die Fußsohlen. Gut so. Die kannst du auch ruhig küssen. Und die Knie. Und ja, nun auch das. Weiter! Weiter! – Und jetzt: Hottahüh! - Na bitte, es geht doch!“
Das war zwanzig Jahre her. Und er war ihr immer noch dankbar. Denn es hatte seitdem keine Frau mehr Grund gehabt zu sagen, „Das soll ’s wohl nun gewesen sein?“ Wobei sich vor allem der Hinweis auf den Mann mit den Ziegelsteinen als hilfreich erwiesen hatte. Ja, inzwischen war er sogar überzeugt, es könne kommen, welche da wolle, er werde sie schon zum Jubeln bringen.
Nun aber die Frau mit dem Leberfleck. Sie hieß Annegret. Soviel wusste er immerhin schon, als sie die Tür zu ihrer Küche öffnete und dazu sagte: „Jetzt bin ich aber wirklich gespannt.“ Und er war sicher, nun konnte kaum mehr etwas schief gehen. Denn über ungarischem Paprikahühnchen mit Butternudeln war noch jede dahin geschmolzen. Dabei gehörte sie eigentlich zu einem Typ Frau, von dem er sich normalerweise fern hielt. Hochgestylt bis zur Perfektion. Augenbrauen, Wimpern, Lippen, in Farbe und Form genauestens aufeinander abgestimmt. Und die Röcke immer exakt um jenen halben Zentimeter zu kurz, der Männeraugen zu Fingern mutieren lässt. Dazu aber ein Blick, der sagt: Wehe, es will sich einer nicht mit der Fantasie zu frieden geben! Nein, er wollte schon erkennen können, was eine Frau wollte und was sie nicht wollte. Wobei ihm inzwischen schien, dass Frauen eigentlich meistens mehr wollten, als sie sich selber eingestanden. Zumindest galt das für jene, die auf die Frage: „Kennen Sie ungarisches Paprikahühnchen?“, reflexartig die Zunge über die Unterlippe gleiten ließen und dann auf eine ganz bestimmte Weise zurück fragten: „Ungarisches Paprikahühnchen?“
Auch sie hatte auf diese Weise: „Ungarisches Paprikahühnchen?“ gefragt. Und da war er überzeugt gewesen, dass ihr die Mappe mit Papieren nicht nur zufällig aus der Hand geglitten und in den Kabelschacht gefallen war, in dem er nach einer Störung im Telefonnetz des Verwaltungsgebäudes suchte, in dem sie arbeitete. Wobei er dann nicht umhin gekommen war, den Leberfleck an ihrem linken Bein zu bemerken, als er sie zurückreichte; innenseitig, eine Handspanne über dem Knie, pflaumengroß und schokoladenbraun, und etwas darüber ein Schimmer von glattem Weiß. Aber da war er nicht ganz sicher. - Und erst als sie davon ging, hatte er die gezupften Augenbrauen registriert und all das Andere, das ihm sagte: “Lass die Finger davon!“ Aber da war dieser Leberfleck und der ging ihm nicht aus dem Kopf. Und so suchte er schließlich nicht nur nach der Ursache für die Störung im Telefonnetz, sondern auch nach dem Weg auf dem sich eine Verbindung zwischen seinem Prüfgerät und dem Apparat in einem ganz bestimmten Zimmer herstellen ließ. Und als er beides gefunden hatte, wählte er die entsprechende Nummer und sagte dann: „Vielleicht erinnern Sie sich …“ - „Oh, ja, der Mann mit den Fingeraugen.“ - „Ich dachte wir könnten vielleicht mal ein Glas Rotwein zusammen trinken.“ - „Rotwein, nicht Kaffee?“ - „Oder Kaffee, wenn Ihnen das lieber ist.“ - „Nein, nein, Rotwein ist schon in Ordnung. Es war nur, weil bei Annäherungsversuchen solcher Art meistens von Kaffee die Rede ist.“ Und bis sie sich in dem Bistro die Hände reichten, auf das sie sich dann verständigten, geriet ihm immer wieder dieser Leberfleck vor die Augen; pflaumengroß und schokoladenbraun, und ein vager Schimmer von glattem Weiß. - Und es hatte sich auch weiterhin alles ganz viel versprechend angelassen. Eine Einladung zum Rotwein, das sei schon mal ganz originell. Und ein Mann, der kocht, davon könne man ja eigentlich nur träumen, vorausgesetzt, er wasche auch ab. Und als er von zwanzig Minuten sprach, die er nur brauche, um ihr ein Gericht auf den Tisch zu zaubern, bei dem sie in die Versuchung kommen würde, sich die Finger abzulecken, erklärte sie: „Das will ich sehen.“ -

 

Ja, und weiter dann im angebotenen Leporello. Und dazu dann auch das Rezept des ungarischen Paprikahühnchens.

     
     
zurück